Parlament der Unsichtbaren

Parlament der Unsichtbaren

Martin Schenk

Wer das Wort ergreift, hat etwas zu erzählen. Wer jemand ist oder war, können wir nur erfahren, wenn wir die Geschichte hören, deren Held:in er oder sie ist. Das Wort zu ergreifen, heißt nicht für-sprechen, sondern selbst sprechen. Wenn Ausgeschlossene die eigene Lebenswelt sichtbar machen, schaffen sie einen Ort, von dem aus sie sprechen können. Der Vorhang öffnet sich zu einer Bühne, auf der die eigene Geschichte eine eigene Deutung – und zugleich Bedeutung – erfährt. Das Unspektakuläre des eigenen Lebens bekommt eine Bühne und wird besonders. Die das Wort ergreifen, können zur Sprache bringen, wer sie sind – und wer sie sein können. „Nicht wahrgenommen“ werden bedeutet auch „ausgeschlossen sein“ bedeutet.

Deshalb ist die Sehnsucht nach einer gerechten & nachhaltigen Gesellschaft stets verbunden mit dem Wunsch nach Anerkennung. Und genau hier müsse eine Erneuerung ansetzen: Bei jenen, deren Leben im Dunkeln bleibt, die nicht repräsentiert werden, die nicht sichtbar sind. Initiativen wie das Parlament der Unsichtbaren, Lebensskizzen, Straßenzeitungen oder die Plattform „Sichtbar Werden“ wollen den Alltag derer sichtbar machen, die nicht im Licht stehen. Stimmen verstärken, die gewöhnlich überhört werden. Geschichten erzählen, von denen keiner erzählt. Sie gehen dem Bedürfnis nach Erzählung der „gewöhnlichen“ Lebensgeschichten und der Beachtung der alltäglichen Sehnsüchte nach. Und was für alle Vorhaben und Initiativen gilt: Wir brauchen eine Vorstellung von der Zukunft, für die es sich lohnt, etwas in der Gegenwart zu ändern.